- Riechen: Physiologie und Riecherlebnisse
- Riechen: Physiologie und RiecherlebnisseDie Nasenhöhle ist in der Mitte durch die Nasenscheidewand geteilt. Von den beiden äußeren Wänden ragen je drei horizontale Wülste, die Conchen (zu deutsch Muscheln), in die Nasenhöhle. Das Riechepithel mit den Riechsinneszellen kleidet 2,5 cm2, oft auch etwas weniger, des obersten Teils der Nasenhöhlen aus. Die Riechsinneszellen tragen an ihrem Ende ein Büschel von Cilien. Sie vergrößern die Oberfläche, in der sich die Rezeptormoleküle befinden, erheblich. Die Cilien ragen in eine Schleimschicht, die sich fortwährend erneuert.Die Physiologie des RiechorgansDie Nasenhöhle hat viele Funktionen. Die Atemluft wird je nach Außentemperatur an den feuchten Wänden abgekühlt beziehungsweise aufgewärmt und angefeuchtet. Beim Einatmen wirbelt die Atemluft nach oben, strömt aber beim Ausatmen durch den unteren Teil der Nasenhöhle wieder heraus. Darum bekommt man mehr von den Düften der Umgebung mit als von den eigenen.Der Mensch besitzt ungefähr 10 Millionen Riechzellen. Sie bilden sich aus den Basalzellen der Riechschleimhaut ständig nach und bleiben dann ungefähr 60 Tage lang am Leben. In Bündeln von 10 bis 100 wachsen ihre Axone von der Riechschleimhaut durch feine Knochenkanäle des Siebbeines in die darüber liegenden Riechkolben, die Bulbi olfactorii (Einzahl: Bulbus olfactorius). Die Axone der Riechzellen enden in ungefähr 2 000 kugelförmigen Strukturen, den Glomeruli, wo sie sich verzweigen und Synapsen mit den Nervenzellen bilden. Diese leiten die Erregung zum Riechhirn, aber auch zum Bulbus olfactorius auf der anderen Seite, weiter. Ungefähr 1 000 Sinneszellen enden auf einem dieser Folgeneurone. Zwischen den Sinneszellen und dem Riechhirn befindet sich im einfachsten Fall nur eine Synapse.Die wichtigste Frage der gegenwärtigen Forschung lautet: Wie ist die Duftinformation im Nervensystem verschlüsselt? Erste Einblicke gewährte die Elektrophysiologie. Riechsinneszellen reagieren auf verschiedene, aber nicht auf alle Duftstoffe. Mit modernen Methoden ließ sich zeigen, dass im Bulbus olfactorius je nach Duftstoff andere Glomeruli in Erregung versetzt werden. Es gibt somit Anhaltspunkte dafür, dass die Glomeruli duftspezifisch reagieren. Die schon im Zusammenhang mit der akustischen Großhirnrinde erwähnte FDG-Methode half auch hier weiter. FDG, ein dem Blutzucker ähnlicher Stoff, wird wie der normale Blutzucker in die Zellen aufgenommen, aber nicht weiterverarbeitet. Wenn Versuchstiere einem bestimmten Duftstoff ausgesetzt waren, reicherte sich FDG als Zeichen erhöhter Aktivität in den durch den Duftstoff aktivierten Nervenzellen und Glomeruli an.Bei Ratten entdeckte man 1991 eine Familie von Genen, die nur in den Riechzellen aktiv sind. Diese Familie umfasst 500 bis 1000 verschiedene Gene. Jedes dieser Gene kann ein Membranprotein vom 7TMD-Typ erzeugen, das heißt, die lange Aminosäurenkette des Proteins verläuft siebenmal durch die Zellmembran (TransMembran), wobei die sieben Teilstücke (Domänen) in der Zellmembran jeweils schraubenförmig in Form einer α-Helix gewunden sind.7TMD-Proteine waren schon als Rezeptormoleküle von anderen Zellen bekannt, beispielsweise vom Protein des Sehfarbstoffs Rhodopsin. Sie veranlassen über G-Proteine (guanosinnucleotidbindendes Protein) in der Zelle die Herstellung von Botenstoffen (Second Messenger), zum Beispiel das Molekül cyclo-Adenosinmonophosphat (cAMP). cAMP war bereits früher als Second Messenger in Riechzellen nachgewiesen worden. Die neu entdeckte Genfamilie ist offensichtlich für die vielen verschiedenen Rezeptormoleküle verantwortlich, die zur Unterscheidung der Duftstoffe notwendig sind. Es gibt Hinweise dafür, dass die verschiedenen Duftstoffe in dem Spalt zwischen den sieben α-Helices binden. Die Proteine haben nach dieser Vorstellung dort selektiv wirksame Bindungsstellen für jeweils bestimmte Duftstoffe. Die Gesamtzahl der menschlichen Gene liegt zwischen 20 000 und 100 000. Wenn die Zahl der Rezeptormoleküle beim Menschen so groß ist wie bei der Ratte, dann ist ihr Anteil von einem oder wenigen Prozent des gesamten Genoms recht groß.Mit der Hybridisierungsmethode kann man nachweisen, in welchen Zellen die Gene exprimiert werden, das heißt aktiv sind. Bei dieser Methode lagern sich genspezifische Sonden, hier Nucleinsäuremoleküle, an die Gene an, wo sie sich später im mikroskopischen Schnitt nachweisen lassen. Es zeigte sich, dass die einzelnen Gene bei Ratten nur in jeder tausendsten Sinneszelle exprimiert werden. Die verschiedenen Rezeptormoleküle werden somit nicht in allen Riechsinneszellen hergestellt. Wie viele verschiedene Rezeptormoleküle in der Membran einer einzelnen Sinneszelle vorhanden sind, ist noch nicht geklärt. Darüber hinaus zeigte es sich, dass alle Sinneszellen, bei denen eines der Gene nachgewiesen werden konnte, über die Axone mit dem gleichen Glomerulus verbunden sind. Das passt zu der Vorstellung von der Duftspezifität der Glomeruli. Nach dieser nun auf verschiedene Weise untermauerten Theorie ist die Duftinformation in den Bulbi olfactorii räumlich verschlüsselt. Jedem Duft entspricht im einfachsten Fall die Erregung von einem oder wenigen Glomeruli. Die Nervenzellen, die die Erregung an das Riechhirn weitermelden, tun dies alle mit derselben Art von Aktionspotenzialen. Die Erregung sagt also nichts über die Duftqualität aus, da es darauf ankommt, welche Fasern aktiv sind. Das Beispiel zeigt erneut die Spezifität der Sinnesbahnen.RiecherlebnisseDer Riechsinn hat eine Wächterfunktion beim Atmen und Essen. Auch nach vielen Jahren erinnern sich Menschen an den Duft einer Speise, die ihnen einmal schlecht bekommen ist. Der Riechsinn dient dem Menschen aber auch zur Orientierung in der Umgebung. Menschen können ein Lagerfeuer im Freien über viele Kilometer hinweg riechen und auch die Richtung zu ihm erstaunlich genau wahrnehmen. Normalerweise erkennen Menschen mühelos, woher der Duft kommt. Bittet man aber jemanden, der eine versteckte Duftquelle richtig geortet hat, seine Angaben zu überprüfen, gibt er nach eifrigem Schnüffeln meistens einen anderen, oft falschen Ort an. Der Ort der Duftquelle, den er spontan mühelos und richtig wahrgenommen hatte, ist ihm merkwürdigerweise beim Nachspüren mit der Nase oft wieder unklar.Menschen lieben es, sich zu parfümieren. Sie geben viel Geld für Düfte aus, und das nicht nur bei Parfüms und Seifen. Nahezu alles, was man kaufen kann, trägt einen sorgfältig ausgewählten Duft. So kann ein Gebrauchtwagen wie ein neues Auto riechen. Aus einem Möbelkatalog kann dem Leser der Geruch frisch geschnittenen Holzes entgegenkommen. Dasselbe gilt für Nahrungsmittel, sofern nicht die Gesetze wie beim Wein Naturreinheit vorschreiben.Der Physiknobelpreisträger Richard P. Feynman verblüffte seine Mitmenschen, indem er mit der Nase herausfand, wer gerade in welchem Buch geblättert hatte. Das gelingt am Besten bei Sammelwerken. Bei diesen riechen alle Bände ähnlich, sodass der von den Händen des letzten Lesers verbliebene Duft stärker auffällt.Nicht erfüllt hat sich der Wunsch nach einem Parfüm, das auf andere Menschen eine sicher vorhersagbare Wirkung entfaltet, das zum Beispiel den geliebten Menschen anlockt und bindet wie ein Zaubertrank in den Märchen. Düfte werden kulturbedingt als angenehm oder abstoßend erlebt. Küchengerüche in multikulturellen Wohngebieten vermitteln diese Erfahrung. Die Parfüme werden mit ihrer Weiterentwicklung keineswegs immer wirksamer. Sie unterliegen vielmehr der Mode. Düfte helfen zwar, Menschen zu verführen, unterwerfen aber nicht den freien Willen.Bei Tieren wurden viele Pheromone nachgewiesen. Sie sind Botenstoffe, die nach außen abgegeben werden und auf Artgenossen wie Hormone wirken oder als Signale für bestimmte Verhaltensweisen. Von Säugetieren sind erstaunliche Pheromonwirkungen bekannt geworden. So kann es bei Mäusen zum Abbruch der Schwangerschaft im Frühstadium kommen, wenn das weibliche Tier einen Duftstoff riecht, den ein neu hinzukommendes Männchen mit dem Harn abgegeben hat. Die weiblichen Tiere setzen dann Hormone frei, welche die Einnistung der frühen Entwicklungsstadien der Feten in der Gebärmutter verhindern. Etwas Vergleichbares fand man bei Menschen noch nicht. Allerdings wird immer wieder behauptet, dass sich der Menstruationszyklus zusammenlebender Frauen synchronisiere. Sollte sich diese Behauptung endgültig bestätigen, kann man dieses Phänomen vielleicht als Pheromonwirkung erklären.Prof. Dr. Christoph von CampenhausenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Chemorezeption: Riechen und SchmeckenAgosta, William C.: Dialog der Düfte. Chemische Kommunikation. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1994.Burdach, Konrad J.: Geschmack und Geruch. Bern u. a. 1988.Corbin, Alain: Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs. Aus dem Französischen. Berlin 1996.Plattig, Karl-Heinz: Spürnasen und Feinschmecker. Die chemischen Sinne des Menschen. Berlin u. a. 1995.Vom Reiz der Sinne, herausgegeben von Alfred Maelicke. Weinheim u. a. 1990.
Universal-Lexikon. 2012.